Zitiert
Stellen Sie sich vor, in Ihnen hat eine spürbare Veränderung stattgefunden. Ihre Familie, Freunde und Arbeitskollegen bemerken, dass Sie ständig gut gelaunt sind, aufgestellt und voller Tatendrang. Was ist geschehen? Sind Sie befördert worden, glücklich verliebt oder frischgebackener Lotto- millionär? Nichts von alledem trifft zu. Aber: Sie sind neuerdings einem Chor beigetreten!
Etwa so oder so ähnlich warb vor nicht allzu langer Zeit ein Luzerner Männerchor um neue Mitglieder. Übertrieben, völlig abgehoben, total hirnrissig?! - mag mancher sich jetzt fragen. Oder ist da was dran, gibt es sowas überhaupt, könnte so etwas sogar mir passieren?
Erstaunliche Feststellungen
Da kommen Leute nach einem langen Arbeitstag erschöpft und müde in die Chorprobe und sind bereit, sich zu konzentrieren, zu üben und zu lernen, still zu sein und in sich hineinzuhören, den Atem und den Puls zu spüren, dann wieder sich zu öffnen, Klang zu produzieren, alles zu geben, Dampf abzulassen, Töne zu schmettern in allen Lagen, Sinnlichkeit und Lust an der Klanggestaltung zu entwickeln, miteinander Emotionen zu erleben, Traurigkeit und Leid, Liebe, Lust und Freude, und vor allem: zu lachen, miteinander herzlich zu lachen.
Die Wissenschaft hat nach Johanna Romberg eine Erklärung
Derzufolge spielen sich die entscheidenden Veränderungen nicht im Kehlkopf, sondern
im Kopf ab. „Vorn, in der Stirnregion, wird das Belohnungssystem aktiviert; weiter im Innern,
in den Basalganglien, wird das Hormon Oxytocin ausgeschüttet - eine Substanz, die unter anderem Gedächtnisprozesse und die soziale Bindungsfähigkeit beeinflusst. Gleichzeitig senkt Ihr Gesang die Konzentration jener Hormone, die Sie aggressiver und stressanfälliger machen: Testosteron und Cortisol.
All dies geschieht kurzfristig; Sie werden die Wirkung schon nach wenigen Liedstrophen verspüren, zusammen mit einem leichten Rausch, den die durchs tiefere Einatmen erhöhte Kohlendioxid- Konzentration in Ihrem Blut auslöst. Und wenn Sie jetzt, von CO2 und Glücks- hormonen beflügelt, Ihre Stimme noch etwas länger klingen lassen, dann erhöht sich die Konzentration des Abwehrstoffs Immunglobulin A in Ihrem Kreislauf und stärkt auf diesem Wege Ihr Immunsystem.
Bei regelmässigem Gesang vernetzen sich sogar die Synapsen Ihres Gehirns auf neue, differenzierte Weise. Sie werden also durchs Singen nicht nur beschwingter, ausgeglichener und friedfertiger, sondern auch noch ein gesünderer und klügerer Mensch. Dies ist keine journalistische Zuspitzung. Es ist ein wissenschaftlicher Befund.“
Die Kehrseite der Medaille
Dennoch scheint es eine Menge Leute zu geben, die beim Stichwort Singen zusammenzucken, als hätte man Ihnen Prügel angedroht. Nicht selten passiert es mir, wenn ich nach meinem Beruf befragt werde, dass mich erwachsene Menschen mit weit aufgerissenen Augen erschreckt anschauen, weil sie an traumatische Kindheitserlebnisse erinnert werden. Da hat ein skurriler Musiklehrer seine 14-jährigen Zöglinge einzeln vorsingen lassen und aufgrund dessen Schulnoten verteilt. Man stelle sich die Qualen der Armen vor, die — und das noch angesichts ihrer Kameraden — die Töne von «Im Frühtau zu Berge ...» aus ihren pubertierenden und stimmbrüchigen Kehlen hervorzupressen versuchen. Oder man denke an die vielen «Alle Jahre wieder... »-Leidgeprüften: Das ganze Jahr bleibt man unbehelligt, aber ausgerechnet am Heiligen Abend muss der «Holde Knabe im lockigen Haar...» abgehandelt werden, nur um den Seelenfrieden der Grossmutter zu erhalten.
«Singen ist uncool»
Das behauptet voller Einigkeit eine ganze Generation männlicher Primarschüler, „etwas für Mädchen oder alte Leute in der Kirche“. Sie reden und denken so und sorgen folgerichtig dafür, dass es vielen Chören an nachwachsenden Männerstimmen mangelt.
... und sie singen doch
Erstaunlicherweise kann mit all den Stimm- und Gesangs-losen eine wundersame Metamor- phose vor sich gehen. Dann nämlich, wenn sich Gleichgesinnte auf dem Fussballfeld oder im Eisstadion zusammenfinden. Eine faszinierende Beobachtung: Immer dann, wenn die Emoti- onen hochgehen, wenn die Stimmung im Stadion überkocht, macht sich die Menge Luft - in einem Lied! «So ein Tag, so wunderschön wie heute...» - Sportfans, Hooligans, sogar Chaoten - sie alle singen gemeinsam ein Lied, im Chor, einig, freudig, wie von unsichtbarer Hand gelenkt und voller Inbrunst und Leidenschaft!
Rätselhaft, dieses Phänomen Singen. Irgendwie scheint ihm etwas Magisches anzuhaften, eine Art Zauberkraft, die etwas mit uns macht, etwas in uns bewegt.
Ach ja, und dann git's im Fernsehen ja auch noch «Musicstar». Man stelle sich einfach mal vor, das ganze wäre ein Wettbewerb im Gedichteaufsagen: «Frühling lässt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte ...» 0 bitte nein! So was von öde, einfach ätzend. Unmöglich, diese Vorstellung! Kein Mensch würde sich das angucken! Jedoch: sobald gesungene Töne im Spiel sind, springen unsere Emotionen im Dreieck, schluchzen Hunderttausende herzzerreis- send vor dem Fernseher!
Das stimmt mich nachdenklich: Die Leute sind anscheinend doch ganz offen für das Singen, sie wollen Emotionen erleben, sie wollen ihre Stimmen klingen lassen!
Das muss ein Appell sein an alle, die den gleichen Beruf ausüben wie ich: Wir müssen aufstehen wie Propheten, auf den Berg klettern und ganz laut und unüberhörbar rufen: «K00000000mmt! Kommt Leute, kommt alle in unsere Chöre! Lasst uns zusammen singen!
Gelesen (im „chorus“ 1.2008) und begeistert (auszugsweise) übernommen – von Johannes Meister, Zug (der seinerseits sich auf Johanna Romberg in ihrem Artikel im „GEO“ 3/2008 bezieht).
Da gab es einmal einen Mann, der schon viele Jahre hindurch täglich einige Stunden lang zu Hause auf einem Klavier
spielte, aber immer nur eine einzige Taste anschlug. Die Frau dieses Mannes (hiess sie womöglich Leni?) hatte die ersten Jahre hindurch verzückt auf ihren spielen- den Mann geblickt.
Mittlerweile nicht mehr. Eines Tages fasst sie sich sogar ein Herz und sagt: "Geliebter Mann, du weisst, wie sehr ich dich
und dein Spiel bewundere. Dennoch ist mir aufge- fallen, dass andere Virtuosen auf ihrem Instrument alle zehn Finger flink über sämtliche Tasten flitzen lassen."
"O Frau" erwidert da der Mann, "das verstehst du nicht! Die anderen sind noch auf der Suche nach dem richtigen Ton — ich hingegen … ich hab’ ihn gefunden!"
Und wir ganz gewiss auch! Wir vom Männerchor Klosters-Serneus. Komm einfach mal dazu und überzeuge Dich selbst. Jeweils am Donnerstag um 20.15 Uhr in der Aula des Oberstufenschulhauses. Und dann bleib am besten gleich da und mach mit! Du wirst schnell erfahren, dass unser Rolf auf allen Tasten (auf denen des Klaviers über die zwischenmenschlichen bis hin zu denen des Humors) bestens zu spielen weiss.
Melodie: „Als wir jüngst in Regensburg waren“
1. Liebe Leute lasst euch sagen,
für die Lunge, Herz und Magen
ist, die Wahrheit werd' euch kund,
vieles Singen sehr gesund.
Refrain: Einatmen, ausatmen!
Noch einmal, so ist 's recht:
Wer nicht atmet, der singt schlecht.
2. Jedermann hat Lungenspitzen,
jeder weiss doch, wo sie sitzen.
Nur die tiefe Atemkunst
hält sie rein von Staub und Dunst.
3. Wollt ihr denn, ob Alt’, ob Junge
halten stets gesund die Lunge,
singt 'im Chor, singt auch allein,
doch erst atmen, dann geht's fein,
4. Auch die Brust, die wölbt sich weiter,
und der ganze Mensch wird heiter,
und, was du noch wissen musst:
Du vertreibst die Hühnerbrust.
5. Auch die Haltung wird ohne Frage
besser, grader, alle Tage.
Alle Knochen recken sich
und die Glieder strecken sich.
6. Singen fördert die Verdauung
und verhindert jede Stauung.
Appetit wird angeregt,
Magendrücken weggefegt
7 Auch das Herz schlägt jugendlicher
und der Herzschlag ticktackt sicher.
Sauerstoff belebt das Blut.
Dazu ist das Atmen gut.
8. Eines kann ich fest versprechen,
und ich will mein Wort nicht brechen:
Wer lang atmet und lang singt,
es zu hohem Alter bringt.